Wer kennt das Problem nicht, ob aus eigener Erfahrung oder Leidensberichten im Bekanntenkreis. Kitas und Schulen sind zu, die Großeltern sollen nicht mehr für die Betreuung einspringen und plötzlich bleibt der Löwenanteil von Betreuung und Hausarbeit an den Frauen hängen. Und das auch, wenn beide Partner in Vollzeit arbeiten und sich vorher die Arbeit mit Haushalt und Kindern überwiegend geteilt haben. Doch in der Krise gibt es eine Rolle rückwärts.
Gleichberechtigung wird um „drei Jahrzehnte zurückgeworfen“
Die Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, sprach in der Talkshow „Anne Will“ sogar schon davon, dass die „Retraditionalisierung“ die Fortschritte bei der Gleichberechtigung um „bestimmt drei Jahrzehnte“ zurückwerfe.
Einer Online-Umfrage ihres Instituts zum Corona-Alltag zufolge hat die Krise die traditionelle Arbeitsteilung bei Paaren zumindest gefördert. Unter den Befragten gaben 24 Prozent der Frauen an, aufgrund der Corona-Pandemie weniger zu arbeiten – bei den Männern waren das 16 Prozent. Mehr Mütter als Väter arbeiten wegen der Krise gar nicht mehr. Immerhin 62 Prozent der Paare, die vorher Haushalt und Kinderbetreuung zu gleichen Teilen geleistet haben, tun das auch in Zeiten von Corona.
Mütter schränken Arbeit mehr ein als Väter
Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, da es sich um eine offene Online-Umfrage handelt, zeigt sie doch den Trend, der sich vielerorts beobachten lässt: Mütter schränken ihre Arbeit aufgrund der Krise zugunsten der Kinderbetreuung stärker ein als Väter. Und sie leiden auch mehr darunter: Waren vor Beginn der Krise Männer und Frauen fast gleich zufrieden mit ihrer Arbeitssituation, ging diese Zahl bei Frauen um vier Prozentpunkte mehr zurück als bei den Männern.
Kein Wunder, der Balanceakt zwischen acht Stunden Erwerbsarbeit, dem Versuch den Kindern Mathe und Englisch zu vermitteln, für Beschäftigung und Essen zu sorgen und zudem die eigenen vier Wände in bewohnbarem Zustand zu erhalten, ist kaum zu schaffen.
„Existierende Situation hat sich verschärft“
Sabine Flick, die an der Universität Frankfurt im Bereich Arbeitsverhältnisse und Geschlechtergleichheit forscht, sagt, dass Mütter laut Untersuchungen schon vor Corona im Schnitt drei Stunden mehr in der Kinderbetreuung gearbeitet hätten als Väter. Für sie zeigt sich aber auch aktuell, dass sich „die Situation, die ohnehin schon existiert hat, verschärft“. Vor Corona sei das aufgefangen worden durch die Kinderbetreuung in Kitas und Schulen.
Diskussion findet nicht statt
Die Frage, wer zurücksteckt, wird oft gar nicht gestellt. Oder automatisch beantwortet, weil Frauen in vielen Fällen weniger verdienen. Frauen verzichten eher, so Soziologin Flick. „Auch wenn die Schulen wieder aufmachen - die Dinge schleifen sich ein. Das ist schon eine Retraditionalisierungsfalle.“
Doch schwarz für die Gleichberechtigung sieht sie nicht. Die durch Corona gewachsene Akzeptanz des Homeoffice biete auch „eine Riesenchance“. Aber dafür müsse es ihrer Meinung nach alltäglicher sein, dass die Sorgearbeit auf beide Partner verteilt wird.
„Raus aus der Schmuddelecke“
Das sieht auch Barbara Burkhardt-Reich so, die am Steinbeis-Innovationszentrum Unternehmensentwicklung in Pforzheim das Projekt „Spitzenfrauen-bw.de" leitet. „Die Ergebnisse der Studie haben mich erschüttert“, sagt sie. Dennoch hofft sie, dass die Krise zu einer Veränderung der Unternehmenskultur führt. Jetzt zeige sich, dass es nicht unbedingt notwendig sei, 40 Stunden die Woche im Büro zu sein und Präsenz zu zeigen. „Das Homeoffice kommt raus aus Schmuddelecke. Viele erleben, wie effizient man im Homeoffice arbeiten kann.“ Diese positiven Erfahrungen könnten dem Thema Frau und Familie für die Zukunft helfen – oder auch dem Mann eine neue Rolle zuordnen.
Die Studie „Corona-Alltag“ wurde im Auftrag von der Hans-Böckler-Stiftung ab dem 23. März 2020 durchgeführt. In einem Zeitraum von 14 Tagen füllten 7677 Personen den Online-Fragebogen aus.