Michael Krautwald arbeitet als Coach und lebt in Frankreich. Im Interview mit Generation Homeoffice erklärt er, wie man gestandenen Führungskräften auch ohne Worte vermittelt, dass sie etwas verändern müssen und warum auch Pferde als Coach taugen.
Generation Homeoffice: Bleib wie Du bist. Nur besser. So lautet der Claim auf Deiner Webseite. Wie macht man Menschen besser?
Michael Krautwald: Für mich heißt besser eine Weiterentwicklung, also, nicht statisch sein. Es gibt ein schönes Sprichwort, „das Gute ist der Feind des Besseren“. Sich in einer Komfortzone ausruhen führt dazu, dass man irgendwann keine Komfortzone mehr hat. Denn sich nicht weiterzuentwickeln führt zu Stress, weil diese Menschen letztlich dauernd unterfordert sind. Mit besser ist aber auch gemeint, mit sich selbst besser zurechtzukommen, mit seinem Leben, seinen Zielen, der Erfüllung seiner Wünsche und auch mit seinem Umfeld.
Das heißt, Du verfolgst einen ganzheitlichen Ansatz? Also nicht nur Jobcoaching?
Beruf und privat lässt sich heute gar nicht mehr trennen. Der Beruf ist ein Teil des Lebens, der auch in andere Bereiche ausstrahlt. Viele Ursachen für Probleme im Job liegen gar nicht im Job, sondern im Ganzen der Person und den Menschen um sie herum.
Es ist ohnehin so eine Legende von der Work-Life-Balance - das ist eine Illusion und der völlig falsche Ansatz. Das würde ja bedeuten, dass die Arbeit gleichwertig neben dem Leben steht. Arbeit ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Bestandteil eines ausgefüllten Lebens. Mein Ansatz ist daher integrativ. Das heißt, alle Lebensbereiche miteinander in Balance zu halten. Insofern kann man nicht trennen zwischen Life-Coach und Business-Coach. Es betrifft immer den ganzen Menschen.
Bei manchen Menschen hat man den Eindruck, dass die Arbeit nicht nur gleichwertig neben dem Leben steht, sondern im Vordergrund.
Man sagt, es gibt vier Quellen des Selbstwertgefühls: Eine davon ist Arbeit, also die sinnvolle, produktive Beschäftigung. Die zweite ist sicherlich das soziale Umfeld - Familie, Freunde und Partnerschaft. Ein dritter Bestandteil ist Kreativität und Sinn. Das sind Hobbies – tanzen, singen, malen, schreiben oder was auch immer. Und der vierte Lebensbereich ist das eigene Haus, der eigene Körper. Das heißt, Gesundheit, Fitness, Leistungsfähigkeit, aber auch Ausgeglichenheit. Das sind die vier Lebensbereiche, die man gleichzeitig managen sollte. Meistens kommen die Menschen zu Coaches, weil sie mit einem Bereich im Ungleichgewicht sind und etwas vernachlässigt haben. Sehr häufig dominiert dann die Arbeit.
Du beschäftigst dich mit einer neuen Sicht auf das Thema Arbeit. Stichwort New Work und Agiles Arbeiten. Was versteht man genau darunter?
Es sind zwei verschiedene Dinge. Agiles Arbeiten heißt, dass man nicht mehr so hierarchisch und in alten Strukturen arbeitet und dass man durch Flexibilität schneller wird und Entwicklungen beschleunigt. Agil heißt außerdem dem Team mehr Vertrauen und Verantwortung zu geben. Die Führungskraft muss ebenfalls vertrauen – dass das Team selbst den besten Weg findet, auch ohne lange Abstimmungsprozesse.
Fest definierte Prozesse, Strukturen und Macht stehen dieser Agilität entgegen. Genau mit den alten Strukturen und Hierarchien hat die Autoindustrie die Elektromobilität verpasst. Tesla ist ein schönes Beispiel, wie es anders geht. Was Elon Musk sowohl bei Tesla als auch mit seinen anderen Projekten macht, ist extrem agil. Dazu gehört auch, Sachen auszuprobieren, Fehler zu machen und zuzulassen.
Und New Work?
New Work ist eine neue Organisationsform von Arbeit. In dem Buch Reinventing Organisation wird die Evolution der Arbeit in vier Stufen beschrieben. Die erste Stufe ist das Patriarchische, eine Unternehmensführung nach Gutsherrenart. Das wurde in den 80er und 90er Jahren abgelöst durch ein eher zielorientiertes Leistungsmodell, das mit Prämien arbeitete. Danach kam das Postmaterialistische - man hat festgestellt, dass Geld nicht ausreicht, weil die Menschen einen Sinn in ihrer Beschäftigung wollen. Das war die Phase, in der man Unternehmen mit Werten aufgeladen hat. Dafür gab es dann schöne Sprüche in den Firmen, wie ‚wir sind teamorientiert‘ oder ‚wir sind nachhaltig‘. Das hing dann meistens auf dem Klo und keiner hielt sich dran. Vor etwa zehn Jahren hat das New-Work-Thema begonnen, wo es hieß, dass man Arbeit komplett neu denken muss.
Was ist bei dem Denkprozess herausgekommen?
Meiner Ansicht nach sind es drei Bestandteile. Da ist einmal die Selbstführung. Das ist eng verwandt mit Agilität. Man gibt die Verantwortung an das Team, das diese Verantwortung natürlich annehmen muss und sich dann selbst führt. Führungskräfte sind nicht mehr Führungskräfte im klassischen Sinne, sondern eigentlich Coaches. Sie unterstützen das sich selbst führende Team als Sparrings-Partner, als Berater oder als Ratgeber. Aber sie sind nicht mehr Entscheider.
Der zweite Punkt ist, dass man als ‚ganzer‘ Mensch zur Arbeit geht. Denn die meisten Arbeitnehmer verkleiden sich in der Frühe. Sie ziehen sich morgens ihre Business-Kappe auf und abends wieder ab. Im New Work bist du eingeladen, als gesamte Persönlichkeit, mit allen Sorgen, Ängsten, Nöten oder Emotionen, Teil des Teams zu sein.
Der dritte und schwierigste Aspekt bei diesem Prozess ist der Sinn. Bei New-Work-Unternehmen reicht es nicht, ein Wachstumsziel zu haben oder Marktführer zu werden. Diese Unternehmen brauchen einen tieferen Sinn, der die Leute antreibt. Das ist auch eine Generationenfrage. Gerade die Jungen wollen etwas mit Sinn machen. Das müssen Dinge mit wirklichem Inhalt sein, zu denen die Menschen auch stehen. Dafür gibt es ein schönes Beispiel: Es gibt ein Pharmaunternehmen, das unglaublich viel Geld mit einem Medikament gegen eine ganz seltene Krankheit verdient. Aber der Sinn dieses Unternehmens ist, diese Krankheit auszurotten. Dafür investiert es den gesamten Gewinn in die Forschung. Das Unternehmensziel ist letztlich, sich selbst überflüssig zu machen – ein fast schon romantischer Ansatz.
Wie erreicht man diese Veränderung?
Das geht nur von oben nach unten. Man muss das als Führungskraft vorleben. Aber das Problem sind die Frösche, die quasi ihren eigenen Teich trockenlegen. Denn die Führungskräfte, die diesen Change Prozess gestalten, braucht man danach in der Form nicht mehr. Das ist eine sehr große Umstellung, gerade für Manager, die noch ganz anders sozialisiert sind.
Leichter tun sich ganz junge oder kleinere Unternehmen. Bei großen Konzernen, in denen die Strukturen über Jahrzehnte gleichgeblieben sind, ist die Frage, ob der Weg überhaupt gelingt. Viele große Unternehmen lagern den Bereich daher aus. New Work findet dann in einer eigenen Abteilung oder eigens gegründeten Firma an anderen Orten statt.
Es gibt allerdings kaum ein Unternehmen, das sagt, wir wollen weiterhin patriarchische Strukturen. Damit bekommt man heute auf dem Arbeitsmarkt keine Mitarbeiter mehr.
Viele Menschen kriegen ja schon die Krise, wenn sie Schlagworte wie New Work nur hören und denken, das können sie auch bis zur Rente aussitzen. Was macht man dann?
Wer Verantwortung abgibt, braucht natürlich Menschen, die das Geschenk auch annehmen. Man gibt ihnen ja sehr viel Entscheidungs- und Gestaltungsraum. Wenn man jemanden hat, der es schön warm haben will, funktioniert es nicht. Aber es ist auch ein positiver Effekt der Selbstführung, dass das Team mit diesen Kollegen nicht mehr arbeiten will. Das regelt sich dadurch von selbst. Es ist natürlich eine Herausforderung, diesen Wandel hinzubekommen.
Die Menschen möchten Verantwortung. Warum hapert es trotzdem so oft mit dem Selbstmanagement?
Es ist ganz erstaunlich, wie wenig Tools der durchschnittliche Arbeitnehmer hat, um sich selbst zu managen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es bei der Hälfte sehr gut geht. Die kommen auch sehr gut mit der Homeoffice-Situation zurecht. Und die anderen sind völlig verloren, weil sie aus der äußeren Struktur herausgerissen wurden. Das ist für viele aber eine ganz wichtige Erkenntnis. Sie merken, dass ihnen auch für ihr Leben etwas fehlt. Denn sie haben eigentlich die Autorenschaft für ihr eigenes Leben abgegeben.
Das klingt ein bisschen nach Karl Lagerfeld. Wie ist das genau gemeint?
Wenn man sich über Jahre in fremde Hände begibt, verliert man die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Viele haben sich in dieser Unterverantwortlichkeit eingerichtet und geben gerne alles ab. Sei es an den Partner, an das Unternehmen oder, wie man jetzt gut sehen kann, auch gerne an den Staat. Aber die Pflichten stehen dazu nicht mehr im Gleichgewicht. Dass man die Pflicht hat, eigenverantwortlich zu sein, an sich zu arbeiten, zu reflektieren oder sich selbst gut zu führen, wird oft nicht gesehen. Die Coronazeit ist aber auch eine Zeit des Erwachens. Viele merken, dass sie etwas verändern müssen und die Bereitschaft dazu steigt.
Du setzt beim Coaching auf Pferde als Co-Coaches. Warum ist ein Pferd ein guter Coach?
Das Besondere an Pferden ist, sie sind sehr sozial. Sie brauchen Hierarchie als Sicherheit und sind ausgesprochen sensibel, was ihre Position in der Gruppe angeht. Außerdem ist ein Pferd viel stärker als der Mensch, man kann es nicht durch Kraft führen. Das schafft man beim Pferd nur aus einer Kombination aus Selbstsicherheit, Zielorientierung und gleichzeitig ganz viel Empathie. Daher gibt es sehr viele Parallelen zum Führungsalltag von Menschen.
Das Pferd fragt, kann ich der Person Vertrauen und macht es Sinn ihr zu folgen. Das findet nicht auf der kognitiven Ebene statt, sondern auf der emotionalen. Wenn eine Führungskraft so vor Augen geführt bekommt, dass sie mit ihrer Haltung nicht weiterkommt, ist das unglaublich effizient. Das bekommt man verbal nicht so hin. Insbesondere, weil die Wahrnehmung von vielen Führungskräften ganz anders ist als die der Mitarbeiter: 80 Prozent finden sich super, aber nur 20 Prozent der Mitarbeiter finden ihre Führungskraft super.
Woher kommt diese Führungsschwäche?
Unternehmen haben in der Vergangenheit immer nur Wissen ausgebildet. Jetzt haben sie festgestellt, dass Soft Skills oft nicht vorhanden sind. Also, soziale Kompetenz, Verkaufskompetenz, Verhandlungsführung, Konfliktfähigkeit und ähnliche Dinge. Man hat dann erkannt, dass man mehr in die Persönlichkeitsentwicklung und weniger in das Fachwissen investieren muss. Gerade um beim Kampf um die Talente mithalten zu können, ist das wichtig. Denn Talente heute haben nur eine geringe emotionale Bindung an den Arbeitgeber. Man sagt, man kommt zu einem Unternehmen, aber man verlässt seine Führungskraft. Inzwischen haben die Unternehmen gemerkt, dass die Ursache für Mitarbeiterfluktuation häufig in falsch oder schlecht ausgebildeten Führungskräften liegt.
In den vergangenen zehn Jahren war das nicht so wichtig, weil die Wirtschaft gut lief und keine Notwendigkeit bestand, an diese Dinge heranzugehen. Es wird jetzt durch diese schwierige Phase bewusster, dass man da mehr tun sollte.
Und wie siehst Du die Zukunft der Arbeit, gerade auch, was Homeoffice angeht?
Homeoffice wird bleiben. Ich kenne Unternehmen, die jetzt umziehen und nur noch mit 50 Prozent der Fläche planen. Mehr brauchen sie nicht. Denn sie wollen anders arbeiten und dazu gehört, dass man nicht immer im Büro ist. Auch von den Kosten her ist es interessant. Außerdem wird man mit der Möglichkeit remote zu arbeiten deutlich attraktiver für Menschen, die nicht so weit fahren wollen oder mit ihrer Familie lieber auf dem Land leben oder als digitale Nomaden an einem beliebigen Ort arbeiten möchten. Ich schätze auch, dass mindestens 30 Prozent der künftigen Meetings digital sein werden. Das hat sich etabliert und funktioniert. Das heißt, man wird in Zukunft viel häufiger dort arbeiten, wo man gerade Lust hat.
Michael Krautwald war selbst mehr als 20 Jahre lang im Top Management unterwegs. Seit über zehn Jahren coacht er Führungskräfte und begleitet sie in eine neue Welt des Arbeitens, die nicht mehr ausschließlich im Büro stattfindet und bei der es um Vertrauen und das Abgeben von Verantwortung geht. Er selbst hat dem Arbeitsplatz in der Firma schon lange abgeschworen und lebt mit seiner Familie im Südwesten Frankreichs, von wo aus er teilweise auch seine Coachees betreut. Entweder in Online-Trainings oder vor Ort auf seinem Bio-Landgut. Ansonsten ist er aber auch in Deutschland vor Ort bei seinen Kunden.