Thomas Knüwer ist Gründer der Digitalberatung kpunktnull und bloggt seit 2005 über Digitalmarketing und Medienwandel. Vor der Gründung von kpunktnull arbeitete er 14 Jahre lang in der Redaktion Handelsblatt. Unter der Überschrift „Größer Managementfehler 2020: Der irrige Glaube an das Home Office“ kritisierte er die aktuell häufig genannte Vorstellung, dass mobiles Arbeiten künftig den größeren Teil der Arbeitszeit ausmache.
GENERATION Homeoffice: Hallo Herr Knüwer, wo treffe ich Sie gerade an, im Büro, unterwegs oder im Homeoffice?
Thomas Knüwer: Im Büro, das aber fast ein Homeoffice ist – denn ich wohne schräg gegenüber.
Ihr ganzes Berufsleben hat mit der zunehmenden Digitalisierung zu tun. Welche Arbeitsabläufe haben sich bei Ihnen persönlich geändert?
Daran kann ich mich schon kaum noch erinnern. Ich beschäftige mich seit Ende der 90er zunächst journalistisch und dann als Berater mit dem gesamten Bereich Digitalisierung. Seitdem probiere ich alles aus, was so auf den Markt kommt. Wenn ich ein Tool herausheben soll: Das Sammeln von Informationen in Evernote ist etwas, ohne das ich nicht leben oder arbeiten könnte.
Homeoffice wird in vielen Studien als ein Arbeitsmodel der Zukunft gefeiert. In ihrem aktuellen Artikel bezeichnen Sie Homeoffice jedoch als „Größter Management-Fehler 2020“. Warum?
Derzeit schaffen viele Großunternehmen Tatsachen, die sich nicht mehr umkehren lassen. Sie stoppen Immobilienprojekte oder verkleinern sie, sie entmieten Büroflächen und reduzieren so physische Arbeitsplätze. Ich halte dies für einen massiven Fehler. Denn so wird die mobile Arbeit nicht zur Beimischung, sondern stückweise zur Standardeinstellung. Dies bringt zahlreiche Probleme mit sich. Es beginnt bei physischen und psychischen Schäden der Heimarbeiter, einem Arbeiten gegen die Werthaltung von Millennials (die ja nach Gemeinschaft suchen) und endet bei einer Implosion der Teamstruktur in Unternehmen und einem Absturz der Bindung von Arbeitnehmern an ihren Arbeitgeber.
Sie sprechen gesundheitliche Probleme wie Rückenschmerzen und psychische Probleme durch Arbeit am heimischen Schreibtisch an. Glauben Sie nicht, dass dies durch einfache Maßnahmen der Arbeitgeber behoben werden kann?
Wer im Homeoffice arbeitet, müsste von seinem Arbeitgeber eigentlich einen entsprechenden Arbeitsplatz gestellt bekommen. Schon das passiert zu selten. Hinzu kommt aber: Wo soll der denn hin? Zunächst fällt die Trennung von Arbeit und Privatleben schwerer. Vor allem aber: Ein Großstadt-Single müsste sich in seine kleine Wohnung einen Schreibtisch mit orthopädisch wertvollem Bürostuhl stellen. Besonders letztere aber sind noch immer eine ästhetische Beleidigung. Wenn wir über ein berufstätiges Paar sprechen verdoppelt sich das Problem: Eigentlich bräuchten die beiden ja sogar getrennte Räumlichkeiten. Eine Familie mit zwei Kindern käme dann eigentlich auf schmucke 6 bis 7 Zimmer ohne Küche und Bad – in der Großstadt können das nur Bestverdiener finanzieren. Die Forderung „Dann ziehen sie halt auf’s Land“ ist dann wohlfeil. Denn das digitale Drittweltland Deutschland bietet ja gar nicht die entsprechenden Datenleitung. Und: Seit 20 Jahren sehen wir, dass Menschen in die Stadt oder zumindest an den Stadtrand wollen. Das platte Land ist nicht das, was der größere Teil der Bevölkerung sich als Lebensort wünscht.
Homeoffice und Karriere stehen für Sie im Widerspruch. Sie schreiben, dass jemand der fünf Tage die Woche im Büro sitzt größere Aufstiegschancen hat, als jemand der drei Tage von zuhause arbeitet. Entspricht dies nicht zu sehr dem traditionellen Management-Bild?
Exakt. Es entspricht diesem traditionellen Bild. Aber nur, weil es traditionell ist, muss es ja nicht falsch sein. Wir Menschen sind soziale Tierchen, wir ticken über ganz viele, zwischenmenschliche Signale, wir entwickeln Vertrauen in den Momenten, in denen wir uns mit jemand vertraulich zurückziehen können. Meine These – und bisher habe ich dazu noch keine Studien gesehen (Hinweise gern erbeten): Mit Zoom-Calls entwickele ich keine Vertrauensbasis über ein Basisniveau hinaus. Ich kenne eine Person, die eine Teamleiterposition unmittelbar mit den Corona-Maßnahmen angetreten hat und die klagt über genau das. Alle Mitarbeiter arbeiten von daheim, diese Person weiß nicht, wem sie trauen kann und wer vielleicht ein falscher Hund oder eine linke Katze ist. Den Chefs geht es genauso. Derzeit funktioniert das Corona-bedingte Zwangs-Homeoffice dank gewachsener Strukturen. Das wird sich ändern, wenn Mitarbeiter gehen und neue hinzukommen und die den größeren Teil ihrer Arbeitszeit von daheim tätig sein werden.
Homeoffice-Vorteile sind sicherlich die wegfallenden Fahrten zigtausender Arbeitnehmer ins Büro, flexiblere Möglichkeiten bei der Jobauswahl und Einsparungen der Firmen bei Bürogebäuden. Wiegen diese Vorteile nicht die Nachteile auf?
Die von Ihnen aufgezählten Punkte machen den Haken sehr gut deutlich: Es handelt sich um Vorteile, die nur für eine Seite gelten. Die wegfallende Fahrzeit ist ein Plus für den Arbeitnehmer, Kosteneinsparungen ein Plus für den Arbeitgeber. Doch ist ja das Ziel eines Unternehmens, dass in der Gemeinschaft etwas entsteht – nur deshalb sind Unternehmen effizienter als wenn alle allein ihrem Ding nachgehen. Wer das aus dem Auge verliert, managet seine Firma in ganz schweres Wasser.
Bei allen berechtigten Diskussionen, ist die Integration von Homeoffice in die Arbeitswelt nicht ein wichtiger Faktor?
Natürlich. Aber Homeoffice sollte eine Option sein und nicht der Standard für alle. Das sehen wir ja auch bei den Kunden, die wir beraten: Die Mitarbeiter wünschen sich die Arbeit von daheim als Möglichkeit, zum Beispiel wenn Kinder Aufmerksamkeit erfordern oder der Handwerker kommt. Doch wollen gerade Mitglieder der Generationen Y und Z einen engen Kontakt zu Kollegen haben, um gemeinsam etwas zu erreichen.
Kurze Abschlussfrage: Würden Sie jemanden einstellen, der nahezu komplett im Homeoffice arbeiten möchte?
Nein. Das würde im Rahmen unseres 12-Personen-Teams auch nicht funktionieren. Der Zusammenhalt innerhalb des Teams von kpunktnull ist immens und meine Erfahrung aus elf Jahren Selbständigkeit ist, dass wenn jemand auch nur graduell außerhalb dieser Gemeinschaft steht, es ein Problem gibt.
Vielen Dank Herr Knüwer für das Interview.