"Meine Frau hat den Knochenjob"

Interview mit Slavik Greensh

Sascha Engel für GENERATION Homeoffice im Gespräch mit Slavik Greensh, Focus Puller, erster Kameraassistent und Leiter des Kameradepartments in großen Film- und Fernsehproduktionen in Israel (TV & Kino).

GENERATION Homeoffice: Inwieweit haben die momentanen Lockdown-Bestimmungen Einfluss auf Deinen Alltag? Kannst Du im Homeoffice arbeiten?

Slavik Greensh: Mein Beruf kann man beim besten Willen nicht von zu Hause aus machen. Ein Bauarbeiter kann ja schließlich auch nichts im Wohnzimmer bauen. Es gibt rein gar nichts, was ich da im Homeoffice erledigen könnte. Ich muss physisch am Set sein. Der zweite Lockdown entwickelt sich ständig weiter. Er ist daher schwer definierbar und wie jeder andere auch, probiere ich ständig dazuzulernen und mich anzupassen. Einige der großen Produktionen laufen noch, nachdem sie eine spezielle “Genehmigung für essentielle Arbeit” bekommen haben.

Ich habe also noch einige Drehtage von Produktionen, die vor dem Lockdown gebucht waren. Andere Genres hatten weniger Glück und verschwanden von meinem Radar: Werbeproduktionen sind schwer am Rudern. Spielfilm- & Kinofilmproduktionen sind komplett abgesetzt und eingefroren, abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen. Der Markt bestellt im Moment keinerlei Image- oder PR-Videos, da aufgrund der unsicheren Wirtschaftslage niemand in PR investieren möchte. Auch erwähnenswert ist das völlige Wegbrechen des Bildungssystems: Die Kinder sitzen zu Hause und fordern Aufmerksamkeit ein. Dieser zweite Lockdown ist extremer Stress.

Wie sieht ein normaler Tagesablauf bei Dir während des Lockdowns aus in Bezug auf Familie, Alltag und Beruf?

Normalerweise bin ich schon am Start, während meine Familie noch die Kissen kuschelt und die Sterne durchs Fenster gucken. Meine Frau hat den Knochenjob am Morgen (sie wusste immer, dass mein Beruf kein Picknick ist): Sie muss für zwei Kinder, 8 und 11, einen Unterrichtstag mit offiziellen Sites und Privatstunden auf 4-5 verschiedenen Plattformen organisieren, plus Essen für die beiden für den Tag vorbereiten und sich dann selber auf den Weg zu ihrem Büro in Tel Aviv machen.

Den ganzen Tag versuchen wir dann Streitereien oder Probleme zwischen den beiden zu Hause zu lösen. Diese tauchen ständig auf, wie Pilze nach einem Regenschauer. Meine Frau nimmt sich dieser telefonisch und per WhatsApp an. Wenn ich auf dem Set bin, geht das für mich nur über WhatsApp. Da für uns beide die Anforderungen bei der Arbeit gleich geblieben sind, kommen diese Belastungen noch oben drauf, und pushen uns bis ans Limit.

Ich habe im Moment nichts, was ich als Routine definieren könnte, und daher gibt es den Alltag als solches überhaupt nicht. Manchmal komme ich spät nach Hause, kurz vor der Schlafenszeit der Kids, die sich in einem grenzwertigen Zustand befinden, nachdem sie den ganzen Tag alleine im Haus verbringen mussten.

Wenn ich mal früher nach Hause komme, dann muss meine Frau länger arbeiten. Oft sehen wir uns erst eine halbe Stunde bevor wir tot ins Bett fallen. Aber trotz allem sind wir beide mehr als dankbar, dass wir die Möglichkeit im Lockdown haben, noch arbeiten zu können.

Denkst Du, dass der erneute Lockdown in seiner jetzigen Form ein wirksames Mittel zur Virusbekämpfung ist?

Es ist traurig, aber ich habe nicht einen einzigen Menschen getroffen, der an die momentanen Maßnahmen der Regierung glaubt, weder in meiner Arbeit beim Film, noch bei Freunden oder Familien von Klassenkameraden meiner Kinder. Im Gegensatz zum ersten Lockdown, der von der gesamten Bevölkerung unterstützt und getragen wurde, kann man jetzt überall eine riesige Frustration spüren.

Wie sind eine Nation, die unter dem Licht einer Straßenlaterne nach einem verlorenen Geldbeutel sucht, während dieser aber weit weg im dunklen Wald liegt. Viele der momentanen Einschränkungen widersprechen gesunder Logik und dem Rat von Experten.

Die Koalition im Parlament ist schwach und der Regierungschef kann nur unter den Fittichen der religiösen Parteien überleben und diese kümmern sich wenig um wissenschaftliche Erkenntnisse. Während die Zahlen der Neuinfektionen in den ultrareligiösen Städten explodieren, hat sich die Polizei entschlossen, diese nicht mit ihren Regelbrüchen zu konfrontieren, aber stattdessen lieber Bußgelder an Sportler oder alte Damen zu verteilen, die mal einen Moment die Maske zum freien Atmen abnehmen, obwohl sie alleine sind.

Auch ist das Bußgeld ein beliebtes Mittel, als Bestrafung der Demonstranten gegen Benjamin Netanyahu, der gerade erst den Beschluss verabschiedete, dass man sich auch zu Demonstrationen nicht weiter als 1000 Meter vom Haus wegbewegen darf. Es sind harte Zeiten, aber es ist wichtig, mehr denn je, jetzt das Richtige zu tun: Das Gesundheitssystem stärken, Spezialisten ausbilden, die das Virus adäquat bekämpfen können, Red Zones (Gebiete in denen die Viruszahlen explodieren) abriegeln und unter Quarantäne stellen, die Wirtschaft wieder anlaufen lassen, auf den Gebieten, wo die Vorgaben beachtet werden, und vor allem, der Wissenschaft zu folgen und nicht unter dem politischen Druck des religiösen Aberglaubens einknicken.

Aber nichts, rein gar nichts, wurde von diesen Maßnahmen getan. Und das ist der Grund, warum Israel den traurigen Spitzenplatz in der Tabelle der Infizierten und Toten anführt.

Wie denkst Du, geht es nach diesem zweiten Lockdown weiter? Was sind Deine persönlichen Aussichten für die Zeit nach dem Lockdown?

Meine Prognose, was die nahe Zukunft unseres Landes betrifft, ist alles andere als optimistisch: Hunderttausende neuer Arbeitsloser, ein riesiges Loch im Haushaltbudget. Tausende von Geschäften sind bereits bankrott, unzählige weitere werden folgen. Dazu kommt dann noch die weltweite Wirtschaftskrise. Die nächsten Jahre werden richtig hart für die Mittelschicht in unserem Land. Mit einem beklemmenden Gefühl von Bitterkeit sehe ich eine riesige Inflation auf uns zurollen und eine Abwanderung von Spezialisten ins Ausland, vor allem Wissenschaftler und Hightech-Entrepreneurs.

Die Steuern werden immens steigen. Das Land wird weiter gespalten, gewalttätiger, noch korrupter und die Demokratie, Bildung und Toleranz werden immensen Schaden nehmen.

Nenne einen Song, der diesen Lockdown adäquat umschreibt?

Tuna & Shalom Chanoch - “The good, the bad & the sister”.

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